Meine Leserin Alessandra war in den USA unterwegs und besuchte dort unter anderem einen sehr schaurigen Ort, den ich euch nicht vorenthalten will. Die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz vor San Francisco ist auf jeden Fall einer der gruseligsten Orte in den USA…
San Francisco, CA. Ein kalter Schauer kriecht uns über den Rücken, als wir durch die Gänge schreiten. Unsere Schritte klackern auf den alten Fußböden und hallen von den Wänden wider. Wir sind auf Besichtigungstour im ehemaligen Staatsgefängnis Alcatraz, das in den Jahren von 1934 bis 1963 in der San Francisco Bay, USA in Betrieb war. Es galt seinerzeit als Hochsicherheitsgefängnis und beherbergte insgesamt 651 Gefangene, von denen viele als die gefährlichsten Verbrecher ihrer Zeit bekannt waren.
Die Geheimnisse der Gefängnisinsel Alcatraz
Fluchtversuch aus Alcatraz | Bleibende Erinnerungen
Ein Plausch mit einem Alcatraz-Häftling
Als erste Touristengruppe fuhren wir schon sehr früh morgens mit dem Boot zur der Insel, auf die man an klaren Tagen vom Festland aus einen Blick werfen kann. So früh morgens liegt noch dichter Nebel über der Bay und hüllt die Insel, die heute ein Naturschutzpark ist, in mysteriöses Zwielicht. Dann scheint es, als wäre sie gar nicht richtig da. Eine Geisterinsel, von der das alte Gefängnis auf die scheinbar normale Welt zurückblickt. Wie das wohl war, das Gefühl, wenn sich der Nebel lichtete und diese Insel auf einmal, wie aus dem Nichts, zum Vorschein kam? Wenn man bei einem harmlosen Strandspaziergang am Wochenende hinüberblickte und sich bewusst wurde, dass dort, nur ein paar Kilometer entfernt, die gefährlichsten Menschen des ganzen Landes gefangen gehalten wurden, während man selbst seinem Leben nachging? Räuber, Vergewaltiger, Massenmörder. Psychopathen. Rücksichtslose Killer. Menschen, denen ein Leben nichts wert war, die keine natürliche Hemmung davor hatten, anderen zu schaden. Anderen Menschen das Leben zu nehmen. Manche wurden in Alcatraz weggesperrt, weil sie in ihren vorherigen Gefängnissen die Regeln gebrochen, andere verletzt oder versucht hatten, zu fliehen.
- Alcatraz Day Tour: täglich ab 8.45 Uhr, letzter Termin 13.35 Uhr, Preis: ca. 36€ für Erwachsene inklusive Fähre & Audioguide.
- Alcatraz Night Tour: täglich um 15.50 Uhr und an ausgewählten Tagen um 16.45 Uhr, Preis: ca. 42€ für Erwachsene inklusive Fähre, Audioguide & Führung
Als wir aus dem Boot steigen und die Insel betreten, erzählt uns eine beige bemützte Angestellte des National Park Alcatraz mit einem halben Schmunzeln diese ersten Geschichten über ein Mikrofon. Sie zeigt auf einen älteren Mann neben sich – „Das ist William Baker“. Und bevor wir uns noch fragen können, wer das wohl sei, erklärt sie ohne Umschweife: „Mr. Baker war in den letzten Jahren, in denen Alcatraz in Betrieb war, hier Häftling. Er ist 1957 nach Alcatraz gebracht worden….“. William G. Baker ist über 80 Jahre alt und saß knapp 50 Jahre seines Lebens in verschiedenen Gefängnissen des Landes. Er saß also länger in Gefängnissen, als er frei war. „Ich kam nach Alcatraz, weil man es in meinem alten Gefängnis nicht besonders schätzte, wenn die Insassen fliehen,“ so erklärt er uns. Was zur Hölle hatte er verbrochen? Die Gänsehaut ist jetzt definitiv da. Baker hat ein Buch über seinen Aufenthalt hier geschrieben, deswegen ist er heute bei uns. Doch das interessiert mich schon überhaupt nicht mehr. Vor meinen Augen legt sich ein Sepia-Schleier über das verwitterte Gebäude über uns auf dem Hügel, das mit seinen dreckigen Fenstern, den fleckigen Mauern und den mit Spinnenweben umsponnenen alten Lampen düster zu uns hinunterblickt. Ehrfurchtsvoll blicken wir hinauf und gehen bange die ersten Schritte, hin zu den Toren von Alcatraz.
Früher Hochsicherheitsgefängnis, heute Touristenmagnet
Früher war diese Insel ein Ort des Schreckens, von dem niemand einfach so wieder weg kam. Heute stehen die Menschen vor dem Tickethäuschen schon Schlange, bevor die Sonne aufgegangen ist. Falls sie überhaupt aufgeht, in dieser oft nebelverschlungenen Stadt am Pazifik. Die Boote fahren im 30 Minuten-Takt zu der Insel. Sie befördern Touristen, mit den Kameras im Anschlag. Den Kopf voll Sensationslust. In welcher Zelle saß Al Capone? Ob jemals einer von der Insel entkam? Als wir den Innenraum des Gefängnisses, das seinerzeit 336 Verbrecher auf einmal fassen konnte, betreten, werden wir direkt von seiner düsteren Atmosphäre empfangen. Stille setzt sofort ein in unserer Gruppe, die als erste an diesem Tag durch diese Gänge geht, als wir durch einen Zwischenraum geleitet werden. Dieser ist komplett von Gitterstäben umzäunt und trennt uns schon bald unweigerlich von der „Außenwelt,“ von der wir gerade eben noch ein Teil waren. Die Kopfhörer, die wir bekommen haben, empfangen uns mit atmosphärischer Musik. Schon bald sind wir alle angespannt und lauschen der Stimme von Stanley Ferguson, die uns ab hier führen wird.
Stanley stellt sich uns als ein ehemaliger Aufseher des Gefängnisses vor, er kennt sich also gut aus in diesen Gängen, die wir jetzt durch die Gittertür betreten. Er lädt uns ein, an seiner ehemaligen Welt teil zu haben, er will uns zeigen, wie es war. Im Alcatraz der Jahre, als die Zellen noch voll waren mit gemeingefährlichen Häftlingen. Ein langer Gang empfängt uns, nach links und rechts reichen die Zellen so weit das Auge reicht. Über drei Etagen liegt Zelle neben Zelle, auf engstem Raum Verbrecher neben Verbrecher. Über den gesamten Gang erstrecken sich die Gitterstäbe. Wir blicken hindurch: Ein schmales Bett, eine Toilette, darüber ein Regalbrett. Zwei Treppchenstufen, auf die man etwas stellen kann. Eine Tasse zum Beispiel. Ein Spielbrett. Ein Brief von der Familie. Viele der Zellen, die wir von hier aus sehen können, sind sehr verwittert. Die Zeit hat an ihnen heftiger genagt als an den unteren Räumen, die von der Einrichtung zu Anschauungszwecken teilweise weiter gepflegt werden. In den oberen Zellen hingegen bröckelt der Putz von den Wänden, auf den Betten liegen jetzt Staubschichten anstatt Matratzen, die Toiletten wurden herausgerissen. Schimmel kriecht aus den Ecken über die Wände. Die Nässe war im Übrigen auch der Grund, weswegen das Gefängnis im Jahr 1963 schließen musste. Nach fast 30 Jahren Betrieb hatten das Meer und die Winde die Gemäuer des Bunker-artigen Gebäudes so sehr zerfressen, dass eine weitere Benutzung nicht mehr gerechtfertigt werden konnte.
Man sieht es. Die Farbe bröckelt, es schimmelt. Wir können den Wind um die Mauern pfeifen hören, er rüttelt an den alten Fenstern. Heute ist es hier ganz still. Ich stelle mir vor, wie sie hier saßen, die Insassen. Verdammt von der Gesellschaft für ihre Taten, abgeschoben auf diese Insel, für die sich niemand interessiert. Nur dieses Fenster vor Augen, durch das man einen kleinen Blick auf die Welt erhaschen kann, von der man einmal ein Teil war. Die einen jetzt nicht mehr will. Links hört Bill Radio, rechts beschwert sich Henry, dass er nicht in Ruhe lesen kann. Gleich geht die Sonne unter. Draußen die Bay, draußen die Menschen, draußen die Welt. Ein ganz normaler Tag. Noch sieben Jahre. Von diesen Gängen gibt es drei. Voller Ehrfurcht schreiten wir sie ab, machen keinen Mucks. Dabei ist es gar nicht mehr still. Aus den Kopfhörern können wir sie jetzt hören, die Insassen, sie rufen, schlagen mit ihren Bechern gegen die Gitterstäbe, begrüßen uns, die „Neuen,“ mit Spott und Häme. Denn wir kommen nackt in dieses Gefängnis, wie uns Stanley erklärt. Wie bei einer Wiedergeburt werden wir nackt durch diese Gänge geschickt, es ist kalt und laut und angsteinflößend, bevor wir Hemd, Hose, Schuhe, Seife, einen Becher und unser Bettzeug bekommen und am Ende als Nummer wiedergeboren werden. Unsere Identität haben wir mit der alten Kleidung abgelegt. Auf Alcatraz interessiert sich niemand für sie. Wir haben keinen Namen, keine Rechte, keine Identität. Wir sind wie Vieh, das es zu füttern und zu halten gilt, eine Weile lang.
Im letzten Gang gibt es drei Zellen, die sich vom Rest unterscheiden. Denn es sind eigentlich keine Zellen. Es sind eher Höhlen, in die wir hineingesteckt werden, wenn wir nicht artig sind. Vielleicht eine Prügelei, vielleicht aber auch nur ein falsches Wort zu einem der Wärter. Wen interessiert das schon. Sie nennen es Einzelhaft, wir nennen es eine Ewigkeit im Nichts. Wenn sie die Türen schließen, verliert man jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Die Höhle hat kein Licht, kein Bett, kein Stuhl, keine Einrichtung. Nur nackten, kalten Boden. Die Stimme eines ehemaligen Gefangenen verrät den Besuchern: „Wenn ihr euch einen Knopf abreißt, könnt ihr ihn in der Höhle fliegen lassen. Ihr hört, wie er aufprallt und verbringt die nächsten Minuten damit, ihn zu suchen. Damit habe ich immer meine Zeit hier drin verbracht“. Tag oder Nacht, Winter oder Sommer? Wie viel Zeit ist vergangen?
Fluchtversuch endet 1946 im Blutbad
So richtig gefriert uns Besuchern das Blut in den Adern, als Stanley ansetzt, von einem Ausbruchsversuch zu erzählen. Er hat Mithäftlinge und -wärter dabei, die uns ihre Seite der Geschichte schildern. An einer Tafel, die an der Wand hängt, können wir die Gesichter der drei Häftlinge sehen, die 1946 einen solch brutalen Fluchtversuch unternahmen, dass dieser bis heute als „Battle of Alcatraz“ bekannt ist. Wir lauschen den Geräuschen, die untermalen, wie Bernard Coy, ein zu 25 Jahren Haft verurteilter Bankräuber, eines Tages im Mai zusammen mit einem Komplizen namens Marvin Hubbard auf der „Gun Gallery“ einen der Wärter überwältigt und sich durch eine zuvor erspähte und geweitete Lücke in der Gitterstabwand zu einem der Zell-Gänge zwängt. Er passt hier nur durch, weil er sich im Vorfeld auf die passende Größe herunter gehungert hatte. Coy stiehlt dem Wärter dessen Schlüssel und mehrere Waffen, die er allesamt hinunter zu seinem Komplizen wirft. Coy läuft daraufhin weiter die Gun Gallery entlang zum Zellblock D, wo er einen weiteren Wärter überwältigt und diesen zwingt, Block C aufzuschließen. Dort befinden sich auch die Isolationszellen. Corwin, der Wärter, ermöglicht mit dem Öffnen der Türe mehreren Häftlingen den freien Zugang zu dem Zellgang. Tatsächlich kehren einige von ihnen einfach wieder in ihre Zellen zurück, aber nicht alle. So mancher schließt sich den Aufständischen an. Die beiden Wachen Miller und Corwin werden in eine der Zellen gesperrt.
Als nächstes suchen die Aufständischen nach dem Schlüssel, der sie zum Hof und in die erhoffte Freiheit bringen soll. Doch an seinem normalen Platz, an einer Kordel über dem Gang, ist er nicht. Als die Insassen erkennen, dass einer der gefangen genommenen Wachen den Schlüssel bei sich versteckt hat, ist es schon zu spät. Viel mehr Wärter wurden bereits alarmiert und befinden sich auf dem Weg in Richtung des Tatorts. Sie gelangen noch bis zur Hoftür und probieren einige der Schlüssel an dem Bund aus, währenddessen müssen die Aufständischen sich gegen immer mehr hereinströmende Wachen durchsetzen. Am Ende halten sie neun von ihnen in zwei Zellen gefangen. Als sich die Hoftür weiterhin nicht öffnen lässt und die Flucht somit zum Scheitern verurteilt ist, macht sich immer mehr Frust breit. Die große Alarmsirene heult auf. Panik bricht aus.
„Es dürfen keine Augenzeugen bleiben!“, schreit einer der drei, Joe Cretzer, auf. Wie im Rausch und aus purer Enttäuschung fängt er an zu schießen. Durch die Gitterstäbe hindurch schießt er auf die am Boden liegenden Wachen, die in die Zelle gesperrt wurden. Einer von ihnen muss sterben, hingerichtet und ohne Chance. Ein anderer notiert sich indes die Namen aller Aufständischen.
Danach bricht ein wahrer Kampf aus. Mehr Wärter verschaffen sich Zugang zum Ort des Geschehens und werden von den drei übrig gebliebenen Aufständischen direkt beschossen. Die Elektrizität wird gekappt und die Army schickt sogar Marinesoldaten in das Gefängnis, um die gefangenen Wärter zu befreien. Am Ende werfen die Marinesoldaten Granaten aus Helikoptern über der Insel durch Löcher in der Decke in das Gebäude. Noch einen ganzen Tag lang soll das Gefängnis unter Beschuss stehen, bevor endlich die Leichen der drei Anführer Bernard Coy, Marvin Hubbard und Joe Cretzer geborgen werden können. Zwei weitere Aufständische werden danach in der Gaskammer hingerichtet.
Eine Erfahrung für alle Sinne
Mit den Fingern gehe ich die Einschlaglöcher entlang, die die Granaten verursacht haben. All das Getöse und Geschrei, die Schüsse und das panische Fußgetrappel dröhnt mir in den Ohren. Viel Leid ist hier passiert und liegt seitdem in der Luft. Meine Nackenhaare stehen mir zu Berge und ich bin am Ende froh, als ich aus dem Gefängnis wieder heraus treten kann und die frische Luft atme. Etwas, das hier Jahrzehnte lang nicht ganz so einfach war. Auf dem Boot zurück zum Festland ist die Stimmung immer noch ein wenig gedrückt. Wir wissen jetzt zwar aufgrund des Giftshops, dass William Baker, der Buchautor vom Anfang unserer Reise, „nur“ wegen wiederholten Betrugs gesessen hatte. Dennoch braucht es bis zum Festland, um das Gefühl der Beklommenheit komplett abzuschütteln.
Der Besuch auf Alcatraz war einer der Momente, der auf mich, von all meinen Reisen, mit den größten Eindruck hinterlassen hat. Mit jedem Schritt weiter in das Gebäude hinein spannten sich meine Muskeln mehr an und alle Sinne schärften sich, als ich den Stimmen aus dem Audioguide lauschte. Dabei schritt ich die Gänge entlang und stellte mir vor, wie all diese Erzählungen vor meinem Auge tatsächlich stattfinden. Gruselig – bis heute. Alcatraz ist auf jeden Fall eine Reise wert und ich kann es jedem, der schaurige Geschichten mag, nur empfehlen! Der dichte Nebel über der San Francisco Bay tut in der Regel sein Übriges dazu. Aber: Man sollte sich früh im Vorfeld um Karten kümmern, die Tour ist oft über Tage ausgebucht!
Ist ein absolutes Highlight in alcatraz gewesen zu sein. Es ist beeindruckend und sehr spannend. Ich War sehr ergriffen von diesem Besuch in einem Gefängnis welches es wirklich gab und immer noch gibt. Ich Kann es nur jedem empfehlen der seine Freiheit liebt
Unbedingt die Nacht-Tour buchen.
Man hat dann von Alcatraz einen wunderschönen Blick auf das Ufer und die Gebäude von San Francisco.
Unsere Lieblingsstadt!